Darmstadt als Teststrecke für assistenzgesteuertes Fahren
Die Darmstädter Innenstadt könnte europaweit eine wichtige Teststrecke für das assistenzgesteuerte Fahren werden. Das dortige Urban Software Institute hat eine App für die Motorsteuerung entwickelt, die das Verkehrsaufkommen inklusive grüner Ampeln vorhersagt.
Darmstadt. „In 100 Metern wird die Ampel in 8 Sekunden auf Grün schalten, daher reduziert das Fahrzeug die Geschwindigkeit um 4km/h, um ohne Stopp weiterzufahren“. So flüssig könnte die Autoelektronik den Fahrer künftig durch die Stadt lotsen – und durch weniger Stop-and-Go auch den CO2-Ausstoß verringern. Assistenzgesteuertes Fahren ist derzeit ein Topthema der Autoindustrie. Technologie aus Darmstadt könnte dabei eine große Rolle spielen.
Ende 2015 präsentierten die Technische Universität (TU) und das Urban Software Institute [ui!] die erste Stufe der Open-Data-Plattform „[ui!] Traffic“, die von der Stadt erhobene Verkehrsdaten erstmals in Echtzeit und frei zur Verfügung stellt. Mit dem Projekt holten die Stadt Darmstadt und das Softwareinstitut vorige Woche den 2. Preis beim Digital Leader Award in Berlin. Verkehrsdaten in Echtzeit brauchen Autos für das assistenzgesteuerte Fahren im komplexen Stadtverkehr, sie sind der "elektronische Horizont", wie [ui!]-Geschäftsführer Lutz Heuser sagt.
Die erste Stufe der über eine App nutzbaren Plattform war zunächst für die Bürger gedacht. Die Google Maps ähnelnde Anwendung aktualisiert alle 300 Millisekunden den Verkehr im Zentrum: Grüne Straßen signalisieren freie Fahrt, bei Gelb stockt es, bei Rot geht nichts mehr. Für „[ui!] Traffic“ werden Daten genutzt, die das Straßenverkehrsamt seit Jahren erfasst. Kameras an Ampeln und Tausende Detektoren messen Signale von Fußgängern und Fahrzeugen. Die Daten werden zum [ui!]-Server geleitet und dort in der App visualisiert.
Erste Testfahrzeuge rollen
Von Anfang an war jedoch klar: Die Technik soll künftig direkt in die Autoelektronik rein. Dazu mussten die Daten für die Automobilisten aufbereitet und in einer eigenen App zur Verfügung gestellt werden. „Stufe zwei ist jetzt erfolgreich abgeschlossen“, sagt Heuser. Die erweiterte Plattform wurde jüngst der Branche vorgestellt, die ersten Testfahrzeuge rollen bereits durch die Stadt. Von welchen Herstellern verrät das Institut nicht. Theoretisch könne nun für jedes Auto mit entsprechender Bordelektronik die Software heruntergeladen werden, sagt Heuser. Das Fahrzeug kann die städtischen Verkehrsdaten dann eigenständig verarbeiten und über Fahrtrouten mitentscheiden.
Ganz wichtig dafür ist: Die App wurde durch neue Analysealgorithmen um die Vorhersage der Grünphasen von Ampeln erweitert. Anders als etwa in den USA funktionieren die meisten Ampeln in Europa nicht nach einem festen Zeitschaltmuster, sondern sind verkehrsbedingt gesteuert. „Das ist das Schwierige und Besondere: Wir können auch solche Anlagen recht genau vorhersagen“, sagt Heuser. „Wir rechnen dazu Tausende Simulationsmodelle pro Sekunde pro Ampel gleichzeitig durch.“ Darauf basierend kann das Auto dem Fahrer die passende Geschwindigkeit für die grüne Welle mitteilen.
Verhandlungen mit US-Städten
In Darmstadt kann die Autoindustrie dem Experten zufolge damit Technologien für das assistenzgesteuerte Fahren erstmals in Deutschland umfassend erproben. „Wer testen will, kann das ab sofort tun“ – ohne erst noch eigene Versuchsstrecken bauen zu müssen. Theoretisch könnten Hersteller das System dann ab 2017 oder 2018 in ihren Fahrzeugen verbauen.
Noch offen ist die Visualisierung der Daten. Wie soll das Auto dem Fahrer mitteilen, nicht mehr zu beschleunigen, weil die Ampel in einer Sekunde auf Rot schaltet? Denkbar sind laut Heuser etwa ein Head-up-Display oder die Anzeige über das Navigationsgerät. Bei den aktuellen Tests erfolgt die Ansicht vorerst noch auf dem Tablet.
Einige US-Städte haben bereits Interesse, das System zu übernehmen – die Verhandlungen laufen. In Darmstadt steht derweil als nächstes Stufe drei an: Speditionen und Lieferdienste zu unterstützen, ihre Flotten schneller durchs Zentrum zu schleusen. [ui!] will zudem Autobranche und weitere Kommunen zusammenbringen. Jede größere Stadt mit eigenem Verkehrsleitrechner habe die Daten, die in Darmstadt genutzt würden. „Wir dürfen nicht alles Google und Apple überlassen“, betont Heuser.
Textquelle: Nadine Emmerich
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